Georg Jellinek zitiert
Als rechterzeugendes Organ aber kennt die Jurisprudenz nur einerseits das Volk in seiner natürlichen Existenz, das auf dem Wege der Gewohnheit sich der Normen bewusst wird, welche das Thun und Lassen der Volksgenossen regeln, andererseits das Volk als organisierte Einheit, als Staat, welcher als souveräner Wille der Gesamtheit das Recht setzt und erhält.
Der Jurist darf und kann keinen andern formellen Grund des Rechtes anerkennen, als den freien Willen der Volks oder Staatsgemeinschaft, wenn er nicht die Grenzen preisgeben will, die er mühsam seinem Gegenstande gezogen hat und dadurch in eine Verwirrung und Unklarheit stürzen will, welche für ihn das wahre Chaos bedeutete.
Als Grund- und Eckstein einer juristischen Construction des Völkerrechts muss der Satz gelten, dass die "Hauptfactoren zur Setzung und Durchsetzung des Völkerrechts die allein berufenen Subjecte des Völkerrechtes, die Staaten bleiben".
Es erschöpft das Wesen des Rechts nicht, dass es Staatswille ist, denn nicht der Staatswille schlechthin, sondern der verpflichtende Staatswille ist Recht. Recht schafft der Staat nur dadurch, dass er sich an einen Willen mit einer Norm wendet.
Es muss aufgezeigt werden, dass es in dem innerstaatlichen Rechte ein reflexives Moment gibt, dass Rechtssätze, deren juristische Qualität feststeht, vorhanden sind, welche vom Staate ausgehen und den Staat binden. Gelingt dieser Nachweis, so ist damit die juristische Basis des Völkerrechts gefunden. Misslingt er, so ist eine Construction des Völkerrechts auf Grund des in dem innerstaatlichen Rechte enthaltenen Rechtsbegriffes nicht möglich.
Wenn die Consequenz des eigenen Willens ausserhalb des Rechts steht, dann würde mit der Aufnahme des Gesetzes in den Willen dasselbe verschwinden und für den Gerechten gäbe es kein Recht mehr.
Bei aller Anerkennung der formalen Ungebundenheit der Staatsgewalt suchen die Absolutisten wenigstens moralische Schranken für dieselbe zu finden. Bei ihnen allen bricht der natürliche Gedanke durch, dass der Staat, wie überhaupt jede menschliche Gewalt, nicht als baare Willkür existiren dürfe, und so suchen sie die dem Staate zugestandene formelle Willkür durch ein materielles Princip, welches die Träger der Staatsgewalt verpflichtet, zu mässigen.
Worin anders besteht die Willensstärke, als in dem Vermögen, den Willen durch selbsteigene Entschlüsse zu einer constanten Kraft zu erheben, die den gefassten Vorsatz unter allen Umständen ausführt?
Ja man kann noch weiter gehen und sogar behaupten, dass gewissermassen jede Verpflichtung Selbstverpflichtung ist, insoferne die fremde Vorstellung, welche mich verpflichten soll, erst meine eigene Vorstellung sein muss, ehe sie als Motiv auf den Willen einwirken kann. Nur durch das Medium meines Intellects kann eine andere Person meinen Willen bestimmen. Nur meine Vorstellungen können mich bestimmen und das Gesetz, welches einer mir fremden Macht entstammt, kann Leben und Kraft erst dann gewinnen, wenn ich es selbst meinem Willen zur Richtschnur vorgeschrieben habe. ("Der Versuch einer Gemeinschaft, durch ihre Befehle das Verhalten der Genossen zu bestimmen, ist Versuch der Rechtssetzung. Das Befohlene wird und bleibt Recht, wenn und so lange dieser Versuch gelingt. Recht ist Motivation, es hört auf Recht zu sein, wenn es nicht mehr als Motiv wirkt.")
Und wenn man auf den Staatswillen mit seiner zwingenden Macht hinweist, der die Constanz des Willens der Unterthanen verbürgt, woher nehmen wir denn die Gewissheit, dass dieser Staatswille, der doch auch Menschenwille ist, im nächsten Momente sich nicht geändert hat? Gäbe es eine solche Willkür, so wäre die Welt ein grosses Tollhaus, dessen Insassen von Verpflichtung, Zurechnung und Schuld sich eine Idee zu bilden unfähig wären.
Der Fehler des Naturrechts war es, dass es die Souveränität im Sinne der Willkür auffasste, dass es nicht erkannte, dass Unabhängigkeit und Autonomie keine Gegensätze, sondern Correlata sind.
Daher besteht das Wesen der Souveränität nicht nur in der Eigenschaft der Staatsgewalt als höchster Macht nach außen, sondern vor Allem in der Selbstherrlichkeit, in der Macht, dem eigenen Willen Vorschriften zu geben, in der Fähigkeit, für sich Recht zu erzeugen.
Die ganze Idee des Rechtsstaates ist in dem Satze zusammengefasst, dass rechtliche Grenzen für die Ausübung der Staatsgewalt existiren.
Daher ist jeder Act des Staatswillens, der sich auf die Verfassung bezieht, zugleich eine Anforderung an den Staatswillen selbst.
Der Staat soll nicht die religiöse Ueberzeugung seiner Volksglieder beherrschen, er soll nicht die wissenschaftlichen Ueberzeugungen seiner Volksglieder beherrschen wollen, der Staat kann die freie Meinungsäusserung durch die Presse nicht von seiner vorherigen Genehmigung, Censur, abhängig machen u. s. w. Wer daher das Recht auf die von der Staatsgewalt an die Unterthanen erlassenen Normen beschränkt, der muss consequenterweise die Rechtsnatur des Verfassungsrechts und damit implicite des ganzen Staatsrechts läugnen, welches ja auf dem Boden der Verfassung ruht.
Daher ist jeder Act staatlichen Wollens eine Beschränkung des Staatswillens und zwar, da diese Beschränkung dem Staate nicht von Aussen her aufgedrungen ist, sondern aus der inneren Natur seines Willens hervorgeht, eine Selbstbeschränkung.
Wenn man nicht darauf bauen könnte, dass der Staat in seinen Gesetzen und den von ihm anerkannten Rechtssätzen eine Schranke seines Willens anerkennt und respectirt, dann wäre das Leben im Staate das unerträglichste, und solche staatliche Zustände waren es, welche die Vorläufer der Revolution dazu angetrieben haben, die Zeit der Staatslosigkeit als die idealste Periode der Menschheit zu preisen.
"Recht in diesem vollen Sinne des Wortes ist also die zweiseitig verbindende Kraft des Gesetzes, die eigene Unterordnung der Staatsgewalt unter die von ihr selbst erlassenen Gesetze."
Die weiteste Definition vom Rechte wäre demnach die Bezeichnung des Rechts als der Inbegriff der vom Staate als für ihn verbindlich angesehenen Normen.
Denn wie immer man die Souveränität auffassen mag, das eine steht fest, dass zu ihren nothwendigen Merkmalen die Unabhängigkeit des Staates zählt. Der Staat darf keinen höheren Willen über sich anerkennen, er darf sich keinem Willen beugen, als seinem eigenen.
Die doppelte Richtung, in welcher sich der Staatswille äussert, findet übrigens in den verschiedenen Stadien des verfassungsmässigen Zustandekommens der Gesetze ihren Ausdruck. Ein Gesetzentwurf wird zum Bestandtheil der Rechtsordnung erhoben erstens durch die Sanction, welche dem Gesetzesinhalt Rechtskraft verleiht und zweitens durch die Ausfertigung und Publication, durch welche das Gesetz als verfassungsmässig zu Stande gekommen erklärt und seine Befolgung den Unterthanen vorgeschrieben wird. Durch die Sanction verpflichtet sich nun zuvörderst der Gesetzgeber selbst.
Der grosse Unterschied zwischen Staats- und Völkerrecht, der in jenen auf den ersten Blick ein fester gefügtes, auf soliderer Basis gegründetes Recht zu sehen verleitet, besteht darin, dass die moralischen Garantien des Staatsrechts stärkere sind, als die des Völkerrechts, dass das Bewusstsein der Staatsgewalt, dem selbstgesetzten Rechte verpflichtet zu sein, in Beziehungen auf die Aufgaben des Staates gegenüber dem Volke ein mächtigeres ist, als fremden Staaten
gegenüber.
Wie immer man über das Wesen des Staates denken möge, das Eine ist wohl heute über jeden Zweifel erhaben, dass es nicht als Willkür gefasst werden kann, dass nicht launische Einfälle, sondern vernünftige Motive es sind, welche den Staatswillen bestimmen. Es ist materiell nicht in das Belieben des Staates gestellt, ob er überhaupt eine Rechtsordnung schaffen will und welchen Inhalt dieselbe zu besitzen hat. Vielmehr ist der Staat durch seine Zwecke, zu welchen auch der gehört, das rechtsetzende und rechtschirmende Organ des Volkes zu sein, gebunden. Kommt der Staat diesen Zwecken nicht nach, oder handelt er gar gegen dieselben, so macht er damit einen Angriff auf sich selbst, er sucht damit die Bedingungen seiner eigenen Existenz zu vernichten.
Nur ein vernünftiger Grund kann den Staat von der Heiligkeit des Vertrages befreien, wie nur ein vernünftiger Grund ihn von der Heiligkeit seines Gesetzes dispensiren kann. Bricht der Staat ohne zwingenden Grund einen Vertrag, dann begeht er materielles und formelles Unrecht.
Denn unter die Staatszwecke gehört auch, was nur zu oft ausser Acht gelassen wird, die Herstellung und Aufrechterhaltung des Verkehres mit andern Staaten.
Denn nicht erst durch die Thatsache der Staatengemeinschaft, schon durch die der Ergänzung bedürftige Natur des Staates selbst, ist die Forderung der rechtlichen Anerkennung fremder Staaten und des Verkehrs mit ihnen gegeben.
Wollen kann man nur das Mögliche, das Unmögliche kann man wünschen, aber dem Willen ist es gänzlich entrückt.
Zu den Staatszwecken zählt die Aufstellung und Aufrechthaltung der Rechtsordnung.
Indem der Staat die Rechtsordnung schafft und erhält, erfüllt er also mit freiem Willen, was ihm durch seine nothwendigen Zwecke geboten ist. Die ganze Aufgabe des Staates concentrirt sich darin, das objective Nothwendige seiner Natur zum subjectiven Momente seines Willens zu machen. Das Nothwendige ist aber deshalb, wie erwähnt, doch frei gewollt; er hätte es auch unterlassen können, aber er hätte damit an seinem eigenen Grabe gegraben.
Wenn es zu den Staatszwecken zählt, mit anderen Staaten zu verkehren, wenn die Nichterfüllung dieses Staatszwecks ebenso einen Angriff auf die Existenz des Staates bedeutet, wie das willkürliche Brechen des selbstgesetzten Rechts, dann ist es eine Forderung der staatlichen Natur, Normen herzustellen, durch welche die Beziehungen des Staates zu den anderen geregelt werden. Diese Normen, obwohl aus dem Wesen der nur in der Staatengemeinschaft existiren könnenden Staatspersönlichkeit hervorgehend, sind trotz dieses Umstandes doch freie Thaten des Staatswillens.
Es wird also kein Zwang auf den Staat ausgeübt, wenn er Normen für sein Verhalten zu anderen anerkennt, die völkerrechtlichen Normen sind nicht das Product einer über dem Staate stehenden höheren Macht, welche ihm dieselben etwa aufdränge, es ist das Völkerrecht kein überstaatliches Recht, sondern es entspringt formell derselben Quelle, wie alles objective Recht: dem Willen des rechtsetzenden Staates.
Der Staat gebietet allerdings den Einzelnen, sich gegenseitig als Rechtssubjecte anzuerkennen und zu achten; wer aber die Rechtsgebote übertritt und in fremde Rechtssphären eingreift, der gibt durch eine solche Handlung zu erkennen, dass das Individuum, welches er verletzt hat, in der Beziehung, in welcher es von ihm lädirt wurde, als Rechtssubject von ihm nicht anerkannt worden ist.
Es ist also positives Recht, welches die Staaten für sich durch Eingehung eines solchen Verhältnisses schaffen, und zwar ein positives Recht, welches alle in Verkehr stehenden Staaten gleichmässig bindet, weil ein Abweichen von den hier zur Anerkennung kommenden Regeln, wenigstens so lange keine höhere rechtsetzende Macht über den Staaten existirt, logisch unmöglich ist.
Denn wo keine höhere rechtsetzende Autorität vorhanden ist, kann ein gemeinsames objectives Recht nur dadurch geschaffen werden, dass diejenigen, für welche das Recht gelten soll, die naturalis ratio zur Richtschnur ihres Willens erheben und sie dadurch zur civilis ratio machen.
Aus der Natur des Staates wird sich vor Allem ergeben, wer zum Abschluss der Verträge berechtigt ist. Es sind dies diejenigen Factoren, denen nach dem particularen Rechte des betreffenden Staates die Bildung des Staatswillens obliegt, eine Frage also, die im concreten Falle nur nach dem Staatsrechte der contrahiren den Theile beantwortet werden kann. In diesem
Punkte sind die hervorragendsten Autoritäten des Völkerrechts älterer und neuerer Zeit einig.
Zu den wesentlichen Merkmalen der Souveränetät zählt ihre Unveräusserlichkeit. Sie kann von ihrem legitimen Träger auf keinen Anderen übertragen werden. Das Recht, Staatenverträge abzuschliessen, ist nun ein integrirender Bestandtheil der Souveränetät; hat man doch von einer eigenen vertragschliessenden Gewalt gesprochen! Daher kann dieses Recht so wenig auf einen Anderen übertragen werden, als das Recht, Krieg zu erklären oder die Gesetze zu sanctioniren.
Gerade in dem Umstande, dass die Staaten seit dreizehnhundert Jahren von dem Recht der Ratification Gebrauch machen, zeigt sich die logische Kraft der Natur der Sache, welche falschen Theorien siegreich widersteht.
Vor der erteilten Ratification besteht nie und nimmer ein Vertrag, sondern nur eine Sponsion.
Der Staat, welcher im Verkehre mit anderen Staaten seinen Willen als nicht für sich bindend anerkennen, der die Verpflichtung durch's eigene Wort als für ihn nicht existirend ansehen würde, der betrachtete sich dadurch ipso facto als ausser der Staatengemeinschaft stehend; daher hat trotz aller gebrochenen Verträge, so lange es einen ausgebildeten Staatenverkehr gibt, noch kein Staat gewagt, die Rechtsverbindlichkeit der von ihm abgeschlossenen Conventionen zu negiren.
Daher kann ein Vertrag nur zu Stande kommen, wenn eine zulässige causa vorhanden ist. Dass nur das rechtlich und sittliche Mögliche gewollt werden darf, ergibt sich vor Allem aus der Erwägung, dass man durch die Zulässigkeit des rechtlich und sittlich Unmöglichen als Vertragsinhaltes dem Völkerrecht den Boden unter den Füssen wegzieht. Alles völkerrechtliche Unrecht könnte ja sonst dadurch zum Rechte erhoben werden, dass man es zum rechtsgültigen Inhalt eines Vertrages erhebt; der Vertrag mit dem einen Staate könnte durch einen Vertrag mit einem anderen ohneweiteres aufgehoben werden und das ganze Vertragsrecht wäre somit
illusorisch.
Es hat vielmehr der Satz, dass unsittliche Verträge rechtlich nichtig sind, im Verein mit der Rechtsungültigkeit der rechtlich unmöglichen Verträge als das zweite wichtigste Princip des internationalen Vertragsrechts, ja des ganzen Völkerrechts zu gelten, weil ohne diese Bestimmungen dem Völkerrechte eine seiner bedeutendsten Garantien entzogen wäre.
Aus der Natur des Willens folgt ferner, dass eine wahre Einwilligung nur dann vorhanden ist, wenn kein wesentlicher unverschuldeter Irrtum oder Betrug beim Abschluss des Vertrags unterläuft.
Die Endigungsgründe der Verträge ergeben sich erstens als logische Folgerungen aus dem Wesen des Vertrages, also Leistung des Versprochenen, mutuus dissensus, Erlass, Ablauf der Zeit, unverschuldeter Untergang des versprochenen Gegenstandes, Untergang eines der contrahirenden Subjecte, Aufkündigung, Eintritt einer Resolutivbedingung. Zwei andere Endigungsgründe der Staatenverträge sind aber auf die eigenthümliche Natur des Staates zurückzuführen. Der eine ist die Collision der höchsten Staatszwecke, unter welchen vor Allem die Selbsterhaltung zählt, mit der Erfüllung des Vertrages. Hier tritt das Nothrecht des Staates ein, welches ihm gebietet, seine Existenz höher zu achten, als die Verpflichtungen, welche er gegen Fremde übernommen hat. Juristisch ist das Eintreten solcher, die Vertragserfüllung zur Verletzung der Pflichten gegen sich selbst machender Umstände als unverschuldetes Eintreten der Unmöglichkeit der Leistung aufzufassen.
Der Zweck des Rechts besteht aber in der Erhaltung der Bedingungen des menschlichen Gemeinlebens. Zu diesen Bedingungen zählt aber vor Allem die staatliche Organisation in ihrer freien Entwickelung. Was diese hemmt, kann also nimmermehr Recht sein.
Der zweite Endigungsgrund der Staatenverträge, der sich aus der Natur des Staates ergibt, ist der Bruch des Vertrags von Seite eines Contrahenten, wodurch völkerrechtlich der andere Contrahent ihm gegenüber befreit wird.
Mit der Feststellung des juristischen Charakters des internationalen Vertragsrechts ist aber für das Völkerrecht unendlich viel gewonnen. Es sind dadurch für die Staaten, denen es um die grösstmögliche Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen zu thun ist, die Normen gegeben, nach welchen sie sich zu richten haben; es ist dadurch für die öffentliche Meinung der civilisirten Welt ein Massstab für die rechtliche Beurtheilung der hierher gehörigen Handlungen der Staaten und damit ein nicht zu unterschätzendes Pressionsmittel gegen unrechtmässige Gelüste gegeben.

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