Toleranz
Fast jeder redet von ihr, viele berufen sich auf sie, diverse fordern sie, doch die allerwenigsten verstehen sie. Um das Wesen der Toleranz herauszuschälen bedarf es nicht viel. Eigentlich würde nur ein einziger Satz benötigt. Beginnen wir nun mit dem ersten Axiom der Toleranz, das eigentlich schon alles aussagt.
1. Toleranz ist die akzeptable Abweichung von einem Ideal.
Toleranz bezieht sich nicht ausschließlich auf Güter, doch Massen, Volumen, Längen und andere physikalische Einheiten eignen sich hervorragend dazu, um das Wesen der Toleranz verständlich zu machen.
Da Ideale nur sehr schwer, zumeist gar nicht erreichbar sind, dienen sie als definierte Zielgröße. Egal was man alles anstellt um die als Ideal exakt definierte Zielgröße zu erreichen, es ist entweder unmöglich sie zu erreichen, oder der Aufwand ist einfach zu groß, bzw. zu aufwendig. Somit legt man vom Ideal ausgehend weitere Größen fest, inwiefern das erwünschte Ziel, ohne dessen Funktionen zu beeinträchtigen oder das Wesen des Ideals zu verändern, erreicht werden können. Die Absicht dahinter ist, das Ziel oder den Sinn des Ideals nicht zu verfälschen oder unbrauchbar zu machen.
Im konstruierten Beispiel besteht das Ideal aus einem Kilogramm weltbesten Luxuskaffee, den man für 10 Mark bekommen kann. Der weltbeste Kaffeeröster überreicht statt dem vereinbartem Kilogramm Kaffee nur 500g Kaffeebohnen. Ist das zu tolerieren? Oder ist die Abweichung (Differenz zwischen Ideal und akzeptabler Abweichung) vom Ideal so groß, das sie nicht mehr akzeptabel ist? Um diese Frage klären zu können kommen wir zum zweiten Axiom.
2. Toleranzgrenzenüberschreitungen sind inakzeptabel.
500g Kaffeebohnen zum Preis von einem Kilo Kaffeebohnen grenzen schon an Wucher. Somit braucht kein Käufer dem inakzeptablen Angebot des Kaffeerösters zu folgen. Doch so sehr der Kaffeeröster sich bemüht, es wird ihm nahezu unmöglich sein, exakt ein Kilogramm Kaffee anbieten zu können. An dieser Stelle des Handels ist es Zeit sich darüber Gedanken zu machen, welche Abweichungen in Gramm vom Kilogramm Kaffee akzeptabel sind. Welche Abweichung vom Ideal (1 kg Kaffee) wollen wir also vernünftigerweise akzeptieren? Womit wir zum dritten Axiom kommen.
3. Ideale und Abweichungen sind weise und befähigt zu entwickeln.
Wer nicht grade der Meinung ist, das es auf ein Viertelpfund nicht ankommt, kann das Kaffeeböhnchen selbst als Maßstab nehmen; denn schließlich handelt es sich um das Luxusgut überhaupt, dem weltbesten Kaffee schlechthin. Da so eine geröstete Kaffeebohne weniger als ein Gramm wiegt, wäre der Toleranzbereich recht eng gewählt. Somit erhält man für seine 10 Mark bis auf die Bohne genau die Kaffeemenge, die man für den Preis haben wollte. Womit wir eine recht praktikable Größenordnung für unser Toleranz haben. Die Masse einer halben Bohne weniger, ist dem Kunden zuzumuten und bildet die untere Toleranzgrenze ab, und die Masse einer halben Bohne mehr, die dem Kaffeeröster zuzumuten ist, bildet die obere Toleranzgrenze ab, wenn eine Kaffeebohne die akzeptable Abweichung betragen soll. Sollte das Kilo Kaffee also weniger Kaffee enthalten als eine Kaffeebohne wiegt, so hat der Kunde den teueren Kaffee als Sittenwidrig abzulehnen. Gleiches gilt für den Kaffeeröster, der Kunde kann keinen Aufschlag von mehreren Kaffeebohnen verlangen ... (die Wirklichkeit zeigt aber, das es den meisten Kaffeeröstern auf eine oder zwei Bohnen nicht ankommt.)
Alternativ bei einem Sack chinesischen Standartreis bis aufs letzte Reiskorn eines 20kg Sackes zu verlangen ist da sicherlich keine weise und befähigte Annahmebedingung. Ob man nun einen Teelöffel oder einen Eßlöffel als Toleranzgrenze in Anspruch nimmt, hängt eben von der Weisheit oder der Befähigung der am Handel beteiligten ab. Wohlgemerkt, wir sind heutzutage befähigt zu erkennen, ob und auf welcher Seite einer Reling eines Containerschiffes sich eine Stubenfliege setzt. (In Wirklichkeit kommt es dem Händler nicht auf das Gramm an, er will zumeist Kunden halten und nicht vergraulen.)
Das letzte Axiom nimmt Bezug auf das Wesen der Toleranz. Toleranz setzt wie schon herausgearbeitet wurde Grenzen. Überschreitet man diese Toleranzgrenzen, braucht man nicht nur nicht zu akzeptieren, sondern es ist auch nicht sinnvoll es zu tun. Somit kommen wir zum letzten Axiom.
4. Es ist sittenwidrig die Toleranz zu idealisieren um Akzeptanz zu erzwingen.
Wenn die Toleranz so groß ist wie das Ideal selbst, dann ist es irrelevant ob ich besagtes Kilo weltbesten Kaffees bekomme, oder gar nichts. Denn ich habe ja zu akzeptieren, daß das Toleranzfeld so groß ist, das alles akzeptiert zu werden hat. Ich muß dann auch zahlen, wenn ich keine Ware oder Dienstleistung bekommen habe. Ein sittenwidriger Zustand.
In einer solch verwahrlosten Welt hätte man einfach unhinterfragt jeden Unsinn hinzunehmen, was einem ein Gegenüber zumutet. Denn schlägt man dieses sittenwidrige Angebot aus, könnte man in einem solchen Fall als Intolerant bezeichnet werden, obwohl man eigentlich im Sinne der Toleranz handelt, und Toleranz von der Gegenseite mit zwanghafter Akzeptanz (mutwillig) verwechselt wird, um einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen.
Kommentar